Skip to main content

Transglutaminase - zu Unrecht verpönt?

Einem Lebensmittel zugesetzte Enzyme sind wie Zusatzstoffe hochwirksam und erlauben sehr spezifische Wirkungen. Im Gegensatz zu den Zusatzstoffen sind sie aber in Publikumsmedien selten ein Thema - mit einer Ausnahme, der protein-vernetzenden Transglutaminase. 

Umstritten ist das Enzym Transglutaminase (TG) zum einen, weil man es zum Verbinden und Formen von grossen aus kleinen Fleischstücken verwenden kann. Solches restrukturiertes Fleisch (Formfleisch) kann die Konsumenten täuschen, da es allenfalls wie gewachsenes Fleisch aussieht. Vor allem deutsche Konsumentenschützer kritisieren den mit TG hergestellten «Klebeschinken», den man allerdings als «Modelschinken» deklariert auch auf traditionelle Art herstellt, indem man das rohe Fleisch im Tumbler massiert. Und im 2003 spottete das Konsummagazin Saldo, mit TG könne man aus Fleischresten einen Festbraten machen.

Zum andern bestehen für Zöliakiepatienten gesundheitliche Risiken beim Verzehr von rohen Produkten, in denen die TG noch aktiv ist, so etwa Kaltrauch-Lachs. Durch genügendes Erhitzen werden alle Enzyme deaktiviert, auch die TG. Zöliakie-Kranke leiden unter einer Autoimmunreaktion, und als Autoantigen wurde Transglutaminase identifiziert. Daher ist eine klare Deklaration nötig, sei es durch die Ergänzung der Sachbezeichnung: "mit Transglutaminase hergestellt" oder durch einen Warnhinweis: "Zöliakie-Kranke: Fleischerzeugnis mit Transglutaminase" oder "Für Zöliakie-Kranke nicht geeignet".

Bisher war die TG in der Schweiz bewilligungspflichtig. «Bei Fleisch kann niemand garantieren, dass es immer gut durchgebraten auf den Tisch kommt» begründete das BAG die Bewilligungspflicht. Und bis anhin müssen die Hersteller sicherstellen, dass der Konsument Formfleisch klar vom gewachsenen Stück unterscheiden kann.

Es gibt Alternativen

Silvan Stöckli, Ausbilder an der Metzgereifachschule in Spiez nennt als Vorteile der TG in der Fleischbranche die Produkt-Standardisierbarkeit und die Wirtschaftlichkeit sowie als Nachteile das Imageproblem, die Deklarationspflicht und allfällige noch unbekannte gesundheitliche Risiken bei häufigem Konsum. «Eine Alternative bei Fleisch ist die Verwendung der Zusatzstoffe E 401 (Natriumalginat) in Kombination mit E 327 (Calciumlactat). Dazu ist keine Bewilligung nötig», so Stöckli.

Alginat ist übrigens das von den trendigen Molekularköchen verwendete Geliermittel für die bekannten Dekorperlen. Für die Herstellung von Modelschinken verwenden Schweizer Metzgereien die traditionellen Technologien durch Aktivierung der fleischeigenen Proteine durch Massieren im Tumbler. Deren Klebwirkung erfolgt jedoch erst beim Garen.

Deklarations- statt Bewilligungspflicht

Die EU pocht nun auf eine strengere Deklaration, welche die Schweiz ebenfalls übernehmen will. Demnach müsste Formfleisch zwingend mit dem Zusatz «aus Fleischstücken zusammengefügt» versehen werden. In Anpassung an die EU will das Bundesamt für Gesundheit (BAG) demnächst vorschlagen, die Bewilligungspflicht aufzuheben und durch eine blosse Deklarationspflicht zu ersetzen.

Dies berichtete kürzlich die NZZ am Sonntag: «Das BAG sieht vor, die Anforderungen an die Deklaration von mit Transglutaminase rekonstituierten Fleischerzeugnissen mit jenen der EU zu harmonisieren», sagt BAG-Sprecherin Eva van Beek. Damit «würde die Bewilligungspflicht hinfällig». Laut van Beek birgt dies keine Gefahr, auch wenn Formfleisch bei Zöliakie-Patienten allergische Reaktionen auslösen kann: «Durch die Verpflichtung zur klaren Kennzeichnung ist dies als unproblematisch einzustufen».

Grosse Zurückhaltung in der Schweiz

Das BAG bewilligte in den letzten Jahren rund ein Dutzend Produkte vom Schweins-Cordon-bleu über Trutenscheiben bis zum Pouletspiess. Aber durch die negative Presse sank das Interesse der Branche: Eine Umfrage von Alimenta zeigt eine grosse Zurückhaltung bei Schweizer Metzgereien.

Bell verwendet keine TG und hat auch keine entsprechenden Pläne trotz Wegfall der Bewilligungspflicht. Micarna verwendet TG bei einzelnen Geflügelprodukten, die gegart werden müssen, wodurch die TG inaktiviert wird, und deklariert «rekonstituiert» sowie «Transglutaminase». Wegen dem schlechten Image der TG will man sich aber von dieser Technologie zurückziehen.

Die Ernst Sutter AG produziert zurzeit ein einzelnes mit TG hergestelltes Produkt, eine Knoblauchgrilltranche, entsprechend den BAG Vorgaben deklariert. Man hat nicht vor, das Sortiment an Produkten mit TG zu erweitern. Traitafina verwendet TG nicht aber experimentiert damit und stellt fest, dass sich neue Möglichkeiten für die Stabilität ergeben. Der Wegfall der Bewilligungspflicht mache die TG interessanter.

Der Wechsel von der Bewilligungspflicht zu einer strengen Deklarationspflicht wird nicht nur bei Herstellern begrüsst sondern auch bei der Stiftung für Konsumentenschutz SKS: Sara Stalder, SKS-Geschäftsleiterin stört sich gemäss NZZ an Formfleisch nicht, solange es klar deklariert wird. Sie findet es sogar positiv, dass «damit unter Umständen auch Fleischreste verarbeitet werden, die man sonst wegwerfen müsste». Dies wäre natürlich übertrieben – Stalder irrt sich: Fleischabschnitte sind normale Wurst-Rohstoffe. Auch Stöckli empfiehlt den Herstellern «korrekte Deklaration, offene Kommunikation und ein fairer Produktpreis».

Wissenswertes über die Technologie mit Transglutaminase

Transglutaminasen TG sind Enzyme, die Quervernetzungen innerhalb von oder zwischen Proteinen herstellen können. Ein Beispiel ist die Verfestigung von Fibrin bei der Blutgerinnung. TG kommen in Mikroorganismen, im Muskelfleisch von Fischen sowie in der Leber und im Blut von Säugetieren vor.

Auch im menschlichen Organismus bauen sie hochmolekulare Proteinstrukturen auf. In der Lebensmittelindustrie werden TG vor allem zur Verbesserung der physikalischen Produkteigenschaften wie Textur, Festigkeit und Elastizität eingesetzt. Das Enzym kann aber auch den Geschmack des Nahrungsmittels beeinflussen.

Der japanische Enzymhersteller Ajinomoto verspricht «die Herstellung von standardisierten Fleischprodukten mit höchster Wertschöpfung, einfache Handhabung, keine Beeinflussung der sensorischen Fleischqualität, hohe Stabilität der Produkte bei weiteren Bearbeitungsschritten wie Schneiden, Marinieren, Garen und Verpacken. Die Restrukturierung von Fleischabschnitten zu Medaillons ermöglicht eine gewichtsgenaue Herstellung von Fleischscheiben. Die Preiskalkulation solcher standardisierter Produkte ist erheblich genauer und freut die Gäste, da jede Scheibe die gleiche Menge Fleisch auf den Teller bringt».

In der Milchbranche kann gemäss Ajinomoto TG zur Texturverbesserung bei Joghurt eingesetzt werden, wo es hauptsächlich das Kasein vernetzt. Aufgrund dieses stabilen Eiweissgerüstes erhöht sich die Viskosität bzw. die Cremigkeit des Joghurts.

Anwendung der TG in der Praxis

Je näher sich die Reaktionstemperatur dem optimalen Temperaturbereich der Transglutaminase annähert, desto schneller läuft die Reaktion ab. Bei Temperaturen um 45 °C ist die Enzymwirkung besonders begünstigt. Bei kalten Temperaturen 0 °C-2 °C) benötigt der gleiche Reaktionsgrad einen längeren Reaktionszeitraum.

TG zeigt eine hohe Aktivität über einen weiten pH-Wertbereich wie er üblicherweise in Lebensmitteln anzutreffen ist (pH 5 bis 8). Obwohl die TG hitzestabil bis zu Temperaturen um 55 °C ist, verringert sich die Aktivität graduell ab 50 °C. Das Temperaturoptimum für eine 10-minütige Reaktion liegt daher zwischen 50 °C und 55 °C..

Autor: E. Mumenthaler